Als Anwalt beim G7

Auf telepolis ist in der letzten Woche ein interessanter Text zur Repression um den G7-Gipfel im bayrischen Elmau im Juni 2015 erschienen. Der Berliner Strafverteidiger Mario Seidel schildert darin seine Erlebnisse. Der Text ist aus verschiedenen Gründen lesenswert. So dokumentiert Seidel anschaulich den Aufbau der Repressionsinfrastruktur und ihren Einsatz.

Polizeilicher Alltag für DemokratInnen unvorstellbar
Darüber hinaus ist der Artikel mentalitätsgeschichtlich interessant. Zwar gibt Seidel offen zu kein Experte im Bereich des Versammlungsrechtes zu sein. Dennoch könnte man meinen, dass es bei Angehörigen der rechtskundigen Zunft ein Interesse an aktuellen Entwicklungen des Fachgebietes geben dürfte. Und trotzdem zeigen die Schilderungen von Herrn Seidel deutlich, wie wenig er sich ein Bild über alltägliche Repressionspraxen der Polizei machen kann. Dass nicht mal ein offenkundig linker Anwalt aus Berlin vor dem G7-Gipfel eine Vorstellung davon hat, was u.a. die Berliner Polizei jedes Wochenende mit linken Demos so anstellt, sollte zu denken geben.

Kein Verständnis für Awareness im linken BürgerInnentum
Darüber hinaus zeigt eine Stelle im Text, wie weit weg die Angehörigen des akademischen linken demokratischen Milieus von politischer Bewegung mittlerweile sind. Mit ironischem Unterton schildert Seidel einige Episoden aus dem Leben im Protestcamp. Die Stelle zeigt deutlich, wie sehr es linksradikaler Bewegung nicht gelingt, ihre Anliegen selbst einem potentiell sympathisierenden Publikum nahe zu bringen. Die Stelle zeigt aber auch, wie wenig akademisch-demokratische Linke heute bereit sind, über ihren Tellerrand zu schauen, und sich mit neuen politischen Formen und Ausdrücken auseinander zu setzen, oder gar selbstkritisch die eigenen Position zu hinterfragen.

Zufällig die Rote Hilfe getroffen
Höchst erhellend dagegen sind die Schilderungen über das nur zufällig (!) statt findende Treffen zwischen dem Anwalt und der Roten Hilfe. Es ist schon erschreckend, dass die Rote Hilfe es offenkundig nicht mal hinbekommt, einem linken Anwalt ihre Vorstellung von Aussageverweigerung zu erklären. Hier zeigt sich ein interessantes Bild, wie die Rote Hilfe selbst von linken Anwälten wahrgenommen wird. Noch interessanter ist, dass der Anwalt die Rote Hilfe mit ihren Antirep-Strukturen bis zum zufälligen Treffen gar nicht zu kennen scheint, geschweige denn, ihren Sinn erfasst. Das wirft ein interessantes Schlaglicht auf die angeblich ach so tollen Vernetzungsfähigkeiten der Roten Hilfe bei Großveranstaltungen.

Mehr Infos:

Als Anwalt beim G7:
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45962/1.html

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